Tauchen mit Zerebralparese - Daniel will's wissen
Mehr als zwei Jahre lang hat Daniel, gehbehindert aufgrund infantiler Zerebralparese (kurz: ICP), nach einer Möglichkeit gesucht, das Tauchen sanft und in geschütztem Rahmen auszuprobieren. Möglichst mit Tauchlehrern, die sich mit Leuten wie ihm auskennen - mit Leuten, die ihm einerseits nicht alles abnehmen, andererseits aber dort helfen, wo er Hilfe braucht. Dann hat seine Frau Melli mich und meine Webseite gefunden. Kurz vor Weihnachten waren die beiden hier und Daniel konnte mit mir und weiteren Helfern des EC-Diving-Clubs Ingolstadt seine ersten Atemzüge unter Wasser erleben. Das war für uns alle ein so tolles Erlebnis, dass ich euch hier unbedingt davon erzählen muss.
Vom Schnorcheln zum Tauchen - mit ICP
Wieso Daniel überhaupt tauchen lernen möchte: „Meine größte Motivation ist, dass meine Frau so gerne taucht. Sie hat mich mit ihrer Begeisterung angesteckt. In Ägypten habe ich es erstmal mit Schnorcheln probiert, und das fand ich super interessant. Aber man kratzt da halt nur an der Oberfläche. Es schreit geradezu danach, mehr zu machen.“
Zu wenig Ausbilder für Taucher mit Handicap
Gefunden hat mich Daniel über Social Media. „Meine Frau Melli ist dir schon eine ganze Weile gefolgt.“ Er selbst habe ebenfalls gegoogelt und einige Tauchanbieter und Vereine gefunden und zwar in München, ganz Deutschland und in Österreich. Die Antworten auf seine Anfrage seien sehr gemischt gewesen: „Die einen haben mir abgesagt, weil sie keinen speziell ausgebildeten Instructor haben. Von anderen habe ich erfahren, dass sie entweder keine Zeit haben oder ihr Tauchturm nicht barrierefrei ist, sie das also nicht stemmen könnten. Die meisten haben mir abgesagt, weil sie über Monate ausgebucht seien oder zu wenig Personal hätten.“
Tauchen mit Behinderung – das Umfeld muss passen
Ganz andere Erfahrungen hingegen hat Daniel am Roten Meer gemacht. „Im Ägyptenurlaub waren die ganz schnell dabei: ‚Wir schmeißen dich ins Wasser und ziehen dich einfach runter‘, haben die gleich gesagt. Diese Art und Weise hat mir allerdings nicht genug Sicherheit gegeben. Für mich war das nicht das passende Umfeld.“
Und so hat er schließlich mich kontaktiert. Wir haben erstmal viel telefoniert und geklärt, inwieweit das Schnuppertauchen bei uns hier im EC-Diving-Club in Ingolstadt machbar ist – schließlich wohnt Daniel nicht gerade ums Eck, sondern rund zweieinhalb Autostunden entfernt. Er hat, zusammen mit seiner taucherfahrenen Frau, den Weg nach Ingolstadt auf sich genommen. Zwei Tage vor Weihnachten ist es soweit. Wir treffen uns erstmal im Café, tauschen uns und den notwendigen Papierkram aus, bevor wir uns auf den Weg zum Sportbad machen.
„Mein Name ist Daniel, und ich habe eine leichte Form der Zerebralparese. Ich nutze einen Rollstuhl, aber viele Menschen sind überrascht, wie gut ich meinen
Alltag bewältige. Meine Arme und Hände kann ich fast frei bewegen, und obwohl meine Feinmotorik nicht perfekt ist, schränkt sie mich kaum ein. Bei meinen Beinen ist es so, dass ich sie nicht
vollständig durchstrecken kann – maximal bis zu einem 45-Grad-Winkel – aber ansonsten kann ich sie normal bewegen.
Im Alltag komme ich meistens ohne zusätzliche Hilfe aus. Treppensteigen ist für mich möglich, wenn jemand meinen Rollstuhl trägt. Auch beim Autofahren bin ich
unabhängig: Dank eines umgebauten Autos kann ich problemlos selbstständig unterwegs sein. Generell probiere ich Dinge gerne erst selbst aus, bevor ich Hilfe in Anspruch nehme – manchmal bin ich
dabei ziemlich dickköpfig, aber ich mag es, meine eigenen Lösungen zu finden."
Der Weg ins Wasser ist einfach: Daniel sitzt am Beckenrand, ich helfe ihm in die Ausrüstung rein, zeihe kurz am Flaschengriff und lassen ihn sanft ins Wasser gleiten. Der Weg runter ist zunächst nicht so leicht: „Zuerst hatte ich schon Schwierigkeiten“, räumt Daniel ein. Das ist menschlich, schließlich sind wir nicht dafür gemacht, unter Wasser zu atmen. Nicht jeder schafft es gleich auf Anhieb, sein Gehirn zu überlisten und einfach entspannt durch den Regler unter Wasser zu atmen.
Zeit und Geduld – Voraussetzung beim Handicaptauchen
Da ich das selbst bei meinem Schnuppertauchgang so erlebt hatte, kann ich das sehr gut nachvollziehen. Meinem damaligen Instructor auf Rhodos sei Dank – er nahm sich die Zeit, am Rande der Bucht ganz langsam und gemeinsam mit mir das Atmen zu probieren. 30 Jahre ist das jetzt her, aber es hat sich so sehr bei mir eingebrannt, dass ich heute mit meinen Schülern genauso behutsam vorgehe. Diese Zeit nehme ich mir immer!
Auch für Daniel. Während unsere Helfer und Melli ein paar Runden durchs Becken flössseln, tauchen Daniel und ich ganz langsam gemeinsam ab. Daniel schwimmt ja sehr gerne und in Ägypten hatte er beim Schnorcheln Spaß… aber Tauchen ist eben nicht gleich Schnorcheln. Was ihn völlig irritiert, ist das Geräusch der Blasen. Und einmal darauf fixiert, bekommst du das ja auch schlecht aus deinen Gedanken raus. „Ich habe selbst nach einem Weg gesucht, wie ich meinen Kopf abstelle. Das Schwierigste für mich war der Übergang von der Wasseroberfläche dann unterzutauchen“, erklärt Daniel seine anfängliche Angst. „Ich hatte aber keinen Moment, an dem ich mich unwohl gefühlt habe. Es war einfach nur mein Kopf.“ Mit ein paar Tricks schaffe ich es schließlich, dass Daniel dann doch seine Gedanken loslässt…
Der Knoten ist geplatzt: Daniel vertraut mir, ich bin jederzeit sehr nah bei ihm und so taucht er ganz langsam mit mir ab. Ich staune nicht schlecht, als er sogar mit geschlossenen Augen völlig relaxt runtergeht…. „Ich habe mich selbst ausgetrickst, um diesen Übergang nicht zu sehen. Dann war die Angst weg“, erklärt mir Daniel hinterher. „Ich konnte den Kopf total ausschalten. Unter Wasser war es still… leer… ruhig… keine Action. Das war für mich total entspannend.“
Tauchen mit Zerebralparese – funktioniert!
Während Chris über ihm schwebend - nur zur Sicherheit - die Flasche führt, schwimme ich rückwärts, mit stetem Blickkontakt und immer die Hand an Daniels Jacket. Im tieferen Bereich des Sportbeckens schwebt er, schwerelos, und auch ich lasse für einige Momente los, sodass Daniel selbst schwimmen kann. Dank der Schwimmhandschuhe und viel Kraft in den Armen kommt er super voran. Er taucht!
Erst selbst machen lassen, dann helfen
Zum Abschluss zeigt Daniel uns nochmal, wie wichtig es ihm ist, trotz seiner Einschränkungen so selbstständig wie möglich zu sein: „Meine Mutter hat mir von klein auf beigebracht, alles immer erstmal selbst zu probieren. Um Hilfe bitten kann ich dann immer noch.“ Das merkt man. Daniel will sich partout nicht helfen lassen, aus dem Wasser zu kommen. Und schafft es auch tatsächlich, auf Knien die Schwimmbadleiter hochzugehen. Es kostet ihn viel Kraft und davon ist nach unsrem Schnuppertauchgang weniger übrig als er es gewohnt ist. Aber, klar, er schafft es!
Daniel: "Für mich ist es wichtig zu zeigen, dass eine Behinderung nicht bedeutet, dass man nicht aktiv und selbstbestimmt leben kann. Meine Einschränkungen sehe ich nicht als Hindernis, sondern als Herausforderung, die mich dazu motiviert, kreative Lösungen zu finden und meine Ziele zu erreichen.“
Ich kann euch gar nicht beschreiben, wie schön es ist, Menschen bei ihren ersten Atemzügen unter Wasser zu begleiten und zu sehen, wie gut es ihnen tut! Auch unserem Schnupperer Daniel hat es gefallen: „Ich fand es klasse. Am Anfang war es total ungewöhnlich, aber dann… einfach überwältigend! Auch, dass du dir, ihr alle euch die Zeit genommen habt, mir meine Unsicherheit zu nehmen und mir ein positives Gefühl zu geben. Ich habe es sehr genossen.“
Das war erst der Anfang, denn jetzt will Daniel es wissen. Ob er „Blut geleckt“ hat, frage ich ihn: „Total! Definitiv will ich jetzt meinen Tauchschein machen. Je nachdem, was mein Arzt sagt.“ Auf meinen Vorschlag, mit dem „kleinen“ Tauchschein, dem Scuba Diver zu starten, will er gar nicht eingehen. Im Gegenteil: „Wenn, dann gebe ich Vollgas“, sagt er und fügt hinzu: „Ihr seid mit eurem Engagement auch total ansteckend. Ich hab‘ da jetzt voll Bock drauf!“ Wir auch! Daher werden wir alles tun, um ihm diesen Wunsch zu erfüllen.
Wenn auch du Lust hast, mit mir abzutauchen, dann melde dich doch gerne direkt bei mir.
Nicole
Kurz & knapp: Zerebralparese – was ist das überhaupt?
Infantile Zerebralparese (kurz: ICP) ist keine Krankheit, sondern eine Gruppe von Symptomen, die mit Bewegungsstörungen und Muskelsteife (Spastik) einhergehen. Ursachen für Zerebralparese umfassen Hirnschäden, die aufgrund von Sauerstoffmangel oder Infektionen vor oder während der Geburt und Gehirnmissbildung entstehen können.
Die Symptome reichen von geringen bis erheblichen Bewegungsstörungen in einer oder mehreren Gliedmaßen bis hin zur Lähmung sowie Gelenken, die so steif werden, dass sie gar nicht mehr bewegt werden können.
Tauchen mit… ICP? Ja, das geht! Sofern, wie bei allen Tauchenden, keine gesundheitlichen Aspekte dagegen sprechen und der Arzt grünes Licht für die Tauchtauglichkeit gibt! Möglicherweise fordert der Arzt bei einem Taucher mit Zerebralparese eine konservative Tiefenbegrenzung (z.B. 10 oder 12 m) und einen zusätzlichen Buddy ein. Das hängt von den Einschränkungen ab und liegt im Ermessen des Arztes.
Danke an die Helfer des EC-Diving-Club Ingolstadt, insbesondere Chris, Jürgen und Julian. Herzlichen Dank auch an die Tauchbasis Schwerelos, die uns für das Handicaptauchen kostenlos das Leihequipment zur Verfügung gestellt hat.
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