Es ist total verrückt. Kaum habe ich meinen Blog „Tauchen mit Handicap“ gestartet, erreichen mich zahlreiche Mails von Betroffenen und von Tauchern, die behinderten Tauchern helfen möchten.
Viele fragen mich, wo man den Buddy-Kurs für Taucher mit Behinderung machen kann. Andere berichten mir von eigenen Erfahrungen. Nicht immer sind das nur gute. Und das spornt mich erst recht an, weiter an meinem Ziel zu arbeiten.
Mein Ziel: Das Behindertentauchen mehr in die Öffentlichkeit rücken!
Eine dieser Nachrichten hat mich von Robin aus der Schweiz erreicht. Sie ist nicht nur Tauchbuddy für Menschen mit Behinderung, sondern auch HSA-Instruktor und überdies zertifizierte Tauchärztin. Und sie ist ebenfalls an MS erkrankt. Robin ist eigentlich nicht Robin – warum sie ihre Geschichte gerne mit anderen teilt, aber ihren eigentlichen Namen nicht öffentlich nennen möchte, hat einen traurigen Grund.
Robin's Geschichte - Tauchlehrerin mit MS
Kurz nachdem die sportliche Schweizerin 2017 ihren Tauchschein machte, lernte sie im Urlaub eine Taucherin mit MS kennen. Zu diesem Zeitpunkt wusste sie noch nicht, dass sie selbst an MS erkrankt war. Nach ihrer Rückkehr aus den Ferien hatte ihr Schwächegefühl im linken Bein dann auch eine Ursache - Diagnose MS. Sie wollte sich nicht unterkriegen lassen von dieser Krankheit und ließ sich zum Diveguide, ein Jahr später zur Tauchlehrerin und mittlerweile auch Behindertentauchlehrerin ausbilden.
Mutmacher und Vorbilder
Genau darum geht es mir mit diesem Blog – anderen Mut machen, mit bzw. trotz Behinderung ihren Weg zu gehen! Und wie für mich ist auch für Robin das Tauchen eine fantastische Möglichkeit, sich schwerelos, leicht und so gar nicht eingeschränkt zu fühlen. Daher habe ich sie gefragt, ob ich über sie und über ihre Erfahrungen als Instruktor für Behindertentauchen hier vorstellen darf.
Darf ich dich vorstellen? Ja, aber...
Ihre Antwort war für mich ganz schön ernüchternd: „Gerne, aber nur in anonymisierter Form.“ Es macht mich einfach nur traurig und wütend, dass Menschen mit Behinderung noch immer so abgestempelt werden.
Warum Robin (nicht) Robin ist
Robin, die nicht Robin ist, aber unerkannt bleiben möchte, hat dafür folgenden Grund: Mehrmals wurde ihr nach einer Stellenzusage urplötzlich eine Absage erteilt, als der jeweilige Arbeitgeber erfahren hatte, dass sie Multiple Sklerose hat. Dabei sieht man ihr nichts an, sie betreibt neben ihrem Job und ihrem Engagement beim Tauchen auch noch Leistungssport! Respekt!
Robin: „Leider wird diese Krankheit immer noch sehr stigmatisiert. Man gilt gleich als todkrank.“
Also ist Robin für uns hier Robin. Seit ihrem ersten Tauchgang ist sie vom „Unterwasser-Virus“ infiziert und bereut heute nur eines: dass sie nicht schon früher mit dem Tauchen angefangen hat.
„Ich bin der festen Überzeugung, dass Tauchen für Behinderte enormes therapeutisches Potenzial hat!“
Robin, HSA Dive Buddy und Instructor
Ihre Ausbildung zum HSA-Instruktor und Dive Buddy hat Robin bei der HSA-Switzerland (Handicapped Scuba Association) in Zürich absolviert. Lest hier im Interview, wieso für sie das Tauchen mit Handicap so wertvoll ist.
Robin, wie war für dich die Ausbildung zum HSA-Instructor und Dive Buddy?
Es hat sich gelohnt! Du lernst sehr viel über dich selbst. Du tauchst ohne Beineinsatz, du tauchst blind. Und dabei merkst du, wie wichtig das Vertrauen zu deinem Buddy ist.
Was bringt Menschen mit Behinderung das Tauchen?
Ich bin der festen Überzeugung, dass Tauchen für Behinderte enormes therapeutisches Potenzial hat! Es wäre schön, wenn mehr Menschen, auch mit Handicap, das Tauchen für sich entdecken könnten.
Wie könnte das noch besser gelingen?
Man müsste noch viel mehr öffentlich bekannt machen, dass es überhaupt solche Kurse gibt. Im anglo-amerikanischen Raum ist man da schon weiter. Der Buddy-Kurs ist in England populär und in den USA hat man bei Kriegsveteranen gemerkt, dass das Tauchen einen erheblichen therapeutischen Nutzen hat, besonders für Bein-Amputierte. Daraus hat sich dann ja das Behindertentauchen entwickelt.
Du hast deine Ausbildung bei der HSA-Switzerland in Zürich gemacht. Wie sieht die Ausbildung nach HSA-Standards aus?
Je nachdem, was der Taucher alles selbst kann, unterteilen wir in verschiedene Stufen. Level A entspricht einem Taucher mit Behinderung, der (fast) alles selbst kann. Und vor allem: Er kann sich selbst und seinen Buddy retten bzw. ihm helfen. Wer zwar sich selbst, aber nicht seinem Buddy helfen kann, wird in Level B eingestuft. Dazu zählen blinde Taucher, die ihre eigene Maske ausblasen können.
Wieviel Hilfe benötigen Taucher im HSA-Level C?
Tetraleptiker etwa, also Menschen, die weder Arme noch Beine bewegen können, sind beim Tauchen auf die Hilfe von zwei bis drei Leuten angewiesen. Das sind normalerweise zwei Buddies im Wasser, die ihn stabilisieren und eine weitere Person an Land. Level-C-Taucher können alleine keinen Notaufstieg machen.
Worin liegt der Unterschied zwischen einem regulären OWD-Anfängertauchkurs und dem HSA-OWD?
Für den Tauchschein müssen Menschen mit Behinderung dieselben Übungen machen wie Taucher ohne Handicap. Meist sind es aber kürzere Tauchgänge, dafür dann mehr.
Gibt es deiner Meinung nach Grenzen für Taucher mit Handicap?
Möglichst im Flachen bleiben! Es geht eher um das Gefühl der Schwerelosigkeit, was für Menschen mit körperlicher Behinderung das Tauchen ausmacht. Mit zunehmender Tiefe wird das Risiko größer – was ja für jeden Taucher, egal ob mit oder ohne Handicap, gilt. Zudem wird insbesondere Para- und Tetraleptikern schneller kalt. Die Tauchgänge dürfen auch deshalb nicht zu tief und vor allem nicht so lang sein.
Und über den OWD hinaus?
Vieles ist möglich, aber nicht alles. Einige Specialities, wie zum Beispiel Bergungstauchen, erfordern 100 Prozent Körpereinsatz. Navigationstauchen dürfte mit Blinden schwierig sein. Blinde können aber durchaus mit dem Trocki tauchen, also auch im Winter in unseren heimischen Seen. Für Para- und Tetraleptiker sehe ich das eher nicht. Für sie dürfte es mit der Tarierung zu schwierig werden.
Wie sieht es mit Menschen mit Multipler Sklerose aus?
Das ist ganz schwer einzuschätzen. MS ist so individuell! Manche haben Probleme mit Hitze, andere hingegen sind eher kälteempfindlich. Und auch die körperlichen Einschränkungen sind ganz unterschiedlich.
Was hast du selbst bisher mit Tauchern mit Handicap erlebt?
Letztes Jahr durfte ich den Buddy-Kurs für zwei Tauchlehrer machen. Der Hintergrund dazu: Eine Schülerin mit Zerebralparese wollte das Angebot ihrer Schule nutzen und im Rahmen einer Projektwoche den Tauchschein machen. Zusammen mit ihren Mitschülern. Schnell war klar: Sie braucht einen Buddy, der ihr hilft.
Müssen es immer ausgebildete Buddy-Diver sein, die Tauchern mit Handicap helfen?
Nein, das muss nicht zwingend ein Taucher sein, der den Buddy-Kurs gemacht hat. Viel wichtiger ist es zu wissen, worauf man achten soll, wo und wie man anpacken muss. Es werden immer auch Helfer an Land benötigt. Zum Beispiel beim Anziehen des Neoprenanzugs, damit der gut sitzt und nirgends drückt. Bei meiner Schülerin kommt immer ihre Mutter mit.
„Man könnte viel mehr Menschen mit Behinderung zum Tauchen bringen, wenn es mehr ausgebildete Tauchlehrer dafür gäbe. Die Nachfrage ist definitiv da!“
Robin, HSA Dive Buddy und Instructor
Was hat dich am meisten bewegt?
Diese eine Person! Das Mädchen hatte solch eine Freude! Sie hat den ganzen Tag gestrahlt! Weil sie mit der ganzen Gruppe dabei war und gemeinsam mit Gesunden Sport machen konnte, nicht als Außenseiterin. Für diese Schülerin war das ein tolles Zusammengehörigkeitsgefühl.
Da scheint Inklusion unter Wasser ja gut zu funktionieren.
Auf jeden Fall. Unter Wasser sind Taucher mit Behinderung nicht so sehr gehandicapped wie über Wasser. Sie fühlen sich dadurch weniger ausgegrenzt. Manche brauchen zwar eine 1:1 Betreuung, können dadurch aber den Tauchkurs zusammen mit nicht behinderten Tauchern machen.
Welche Voraussetzung sollte man für den HSA-Dive-Buddy-Kurs mitbringen?
Eine gewisse Fitness, wie beim Rescue-Diver. Du musst den Taucher abschleppen und aus dem Wasser holen können. Diese Grundvoraussetzung sollte meiner Meinung nach auch der Buddy erfüllen. Außerdem sollte man Geduld haben und Zeit mitbringen.
Mehr Zeit als beim Tauchen mit nicht körperlich Behinderten?
Ja, denn was man nicht bedenkt und unterschätzt: Die Vorbereitung dauert länger als der Tauchgang selbst. Die meisten Taucher mit Handicap können nicht zu lange im Wasser bleiben, weil ihnen, wie schon gesagt, schneller kalt wird. Trotz des großen Aufwands: Es lohnt sich! Wenn du ihr Lachen siehst, ist es wie ein Geschenk! Alles richtig gemacht!
Mich bestärkt das! Der Adaptive-Diver-Kurs ist gebucht!
Es braucht diese Ausbildung, und es braucht vor allem mehr Tauchlehrer mit dieser Ausbildung. In dem Kanton, in dem ich lebe, bin ich die einzige nach HSA zertifizierte Tauchlehrerin für Menschen mit körperlicher Behinderung. Man könnte viel mehr Menschen mit Behinderung zum Tauchen bringen, wenn es mehr ausgebildete Tauchlehrer dafür gäbe.
Du bist selbst an Multipler Sklerose erkrankt. Wie ist das Tauchen für dich mit deiner Behinderung?
Für meine Tauchbrevets und den Instruktor bin ich nicht eingeschränkt. Ich brauche allerdings mehr Erholungszeit, da mein Limit schneller erreicht ist, insbesondere dann, wenn ich zu wenig Schlaf habe.
Schränkt dich die MS in deinem Alltag ein?
Auch mir fällt zwischendurch die Decke auf den Kopf. Tagtäglich werde ich an die Krankheit erinnert: bereits am Morgen beim Aufstehen und nach dem Schlucken der Medikamente. Aber ich lass mich nicht einengen durch die MS! Ich koste mein Leben voll aus!
Danke für deine Unterstützung, deine Zeit und deine offenen Worte, liebe Robin. Mach weiter so!
Tauchen mit Handicap - und mit Robin
Wer mit „Robin“ im Kanton Bern und Umgebung abtauchen möchte, sich für den Buddy-Kurs oder andere HSA-Ausbildungen interessiert, kann sich gerne direkt an mich wenden – ich leite die Anfrage dann an die „echte“ Robin weiter.
Bis zum nächsten Blog!
Eure Nicole